Brotgetreide

Meinung: Lasst uns die Krise nutzen, die Weizenproduktion mit Weitsicht zu ökologisieren apl. Prof. Dr. Friedrich Longin, Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim, 70599 Stuttgart; Email: friedrich.longin@uni-hohenheim.de Aktuell herrscht ein Krieg zwischen zwei Ländern, die sehr wichtig sind für die Produktion zahlreicher Agrarrohstoffe und Lebensmittel. So ist uns allen plötzlich vor Augen geführt, dass eine Lebensmittel-Grundversorgung unserer Weltbevölkerung keine Selbstverständlichkeit ist. Auch bisher war es dies nicht, wurde aber außerhalb von Expertenkreisen wenig beachtet. Unsere Weltbevölkerung wächst nämlich ständig, unsere Konsumgewohnheiten sind nicht nachhaltig. So werden schätzungsweise bis zu 45% der Obst- und Gemüseproduktion weltweit vernichtet, bei Getreide sind es immerhin 30%, bei Baguette sogar fast 50%. Zudem konsumieren wir Menschen sehr viel sog. veredelte Produkte wie Fleisch und Milchwaren. Der Klimawandel nimmt immer mehr zu, die Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzfläche durch Baumaßnahmen geht weiter und die landwirtschaftliche Nutzfläche der Erde ist einfach begrenzt. Und der Krieg und die Coronakrise verschärfen dies alles noch. Parallel wurden in den letzten Jahren die Jahresendlagerbestände vieler Agrarprodukte schon kontinuierlich abgebaut, weil nicht genug produziert werden konnte! Klar leben wir hier in Deutschland im Schlaraffenland. Wir haben die Ressourcen, um uns unsere Nahrungsmittel zur Not überall zusammenkaufen zu können. Bevor wir verhungern, trifft es erstmal andere Regionen, aber ich glaube kaum, dass die Menschen dort tatenlos herumsitzen, sondern in letzter Not eben versuchen, zu uns zu kommen! Aktuell importieren wir auch schon sehr viel an Soja, Pflanzenölen, Obst und Gemüse. Einige Millionen Hektar landwirtschaftliche Produktion sind somit schon outgesourct. Insofern betrifft das Thema Welternährung auch uns in Deutschland. Parallel ist bei einigen Meinungsbildnern immer mehr die Tendenz zu beobachten, dass möglichst extensiv produziert werden sollte und dies idealerweise für den gleichen Preis. Die Strategien aus der Krise sind meiner Meinung nach wissenschaftlich relativ klar formuliert: Wir müssen weniger Fleisch und Milchprodukte essen, weniger wegschmeißen, nachhaltiger produzieren, die Biodiversität schützen und wieder steigern und irgendwie trotzdem eine effektive Landwirtschaft erhalten. Für die Landwirtschaft bedeutet dies, dass mehr Ertrag pro Fläche und pro eingesetzter Ressourcen benötigt wird, das sind vereinfacht dargestellt Wasser, Dünger und Schutzmittel (Pestizide). Glücklicherweise wird hier nach wie vor viel erreicht. Die Pflanzenzüchtung liefert ertragreichere Sorten, die bessere natürliche Resistenzen gegenüber Schaderregern haben. Die Agrartechnik findet Lösungen, die es ermöglichen, dass nicht mehr ganze Äcker gespritzt werden müssen, sondern nur noch kleinere Bereiche, eben dort, wo es notwendig ist, oder dass mittelfristig Unkrautvernichtungsmittel durch effiziente maschinelle Hacken ersetzt werden können, usw. Ob Landwirte sich solche Technik leisten können und ob all diese Maßnahmen reichen werden, ist aber unsicherer denn je. Fakt ist auch, dass der ökologische Anbau im Vergleich zum Konventionellen einen deutlich geringeren Ertrag pro Fläche liefert, bei Getreide sind das über 30% weniger. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man hierfür dann deutlich mehr Ackerfläche bräuchte und die ist weltweit eben nicht mehr vorhanden bzw. nur durch Rodung von Wäldern oder Umpflügen von Wiesen zu bekommen. Das wäre aber eine Katastrophe für Biodiversität und Umwelt. Somit sind dringend Konzepte notwendig, diesen Ertragsnachteil des Ökolandbaus zu reduzieren, u.a. durch notwendige Ernährung der Pflanzen, oder eben das Beste aus beiden Anbausystemen zu kombinieren, u.a. möglichst wenig Spritzmittel aber wenn dann sehr effiziente und umweltverträgliche, wie beispielsweise die Saatgutbeizung. Auch sind die schon lange bekannten Probleme wie Lebensmittelverschwendung, ungenügende globale Verteilung von Lebensmitteln, zu viel Konsum veredelter Produkte, usw., dringend anzugehen. Aber warum sollen wir warten, bis diese großen Baustellen gelöst sind und gehen nicht einfachere Schritte an, die dafür eine hohe Chance auf baldige Realisierung haben? Wir könnten diese Krise nutzen, um endlich die konventionelle Landwirtschaft grüner zu machen und zwar schrittweise, von einfach zu kompliziert, ohne dabei aber die globale Ernährungssicherung auszublenden. Konkrete Schritte für eine Ökologisierung der konventionellen Weizenproduktion Ich denke es kommt darauf an, die Biodiversität zu steigern und umweltschädliche Maßnahmen zu minimieren ohne gleich große Produktivitätsverluste zu akzeptieren. Ich sehe dabei relativ einfache aber wirksame Möglichkeiten in folgenden Punkten. Wichtig wäre, die wenigen kleinstrukturierten Feldflure mit artenreichen Ackerstreifen und Hecken noch zu erhalten und mittelfristig Agrarwüsten in diese Richtung zurück zu entwickeln. Diese Struktureinheiten haben wenig Auswirkung auf Ertrag pro Fläche aber große Wirkung auf die Biodiversität. Zudem könnte die Biodiversität auf dem Acker relativ schnell gesteigert werden durch den heimischen (Wieder)Anbau von alternativen Kulturarten. Das ermöglicht der Landwirtschaft zudem abwechslungsreichere Fruchtfolgen zu fahren, was indirekt erhebliche Mengen an Düngung und Pestiziden einsparen kann. Bei den Arten gibt es aktuell schon zahlreiche Ideen von Leguminosen, über alternative Faserpflanzen oder Saaten, die in Backwaren und Frühstückscerealien eingesetzt werden. Alleine dafür importieren wir aktuell Lein, Buchweizen, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne usw. in einer Menge, die mehreren 100.000ha Anbaufläche dieser Blühpflanzen entspricht. Wichtig bei der Etablierung alternativer Kulturarten aber ist, dass diese rentabel für die Wertschöpfungskette sind sei es durch angemessene Preise und/oder Subventionen gekoppelt an diese Leistungen. Bei den höheren Preisen für heimisch produzierte Ware sollten wir folgendes bedenken. Diese kommen u.a. dadurch zustande, dass in Deutschland eine höhere Sozialabsicherung zu höheren Löhnen führt und mehr Umweltauflagen erfüllt werden als in vielen Import-Ländern, eigentlich das, was wir doch alle für uns selber wollen, oder? In der Weizenproduktion selber haben wir auch mehrere Möglichkeiten, nachhaltiger zu werden ohne die Produktivität stark zu reduzieren. Als mit Abstand wichtigster Punkt ist hier die Stickstoffdüngung zu nennen, die aus mehreren Gründen ökologisch sehr wirksam ist. Die Produktion von synthetischem Stickstoffdünger ist sehr energieaufwendig und eine zu hohe Düngung bewirkt häufig die Auswaschung von diesem Stickstoff durch Regen in nahe gelegene Bäche und Flüsse, weltweit betrachtet das größte ökologische Problem. Laut zahlreicher Experten könnte Weizen durchaus weniger gedüngt werden, aber der internationale Handel fordert einen hohen Proteingehalt bei Weizen, der in vielen Produktionsgebieten nur über viel Düngung erreicht werden kann. Zur Erinnerung: der Proteingehalt korreliert eben nur mäßig mit der Backeignung von Weizenpartien, Masse ist eben nicht Klasse, ein E-Weizen mit 11% Proteingehalt backt immer besser als ein C-Weizen mit 13% Proteingehalt. Es kommt vielmehr darauf an, Sorten bzw. Weizenpartien auszuwählen, die eine gute Backqualität abgesichert durch gute Proteinqualität haben. So wäre schon viel erreicht, wenn man die Sorteninformationen nutzt. Wozu leisten wir uns sonst in Deutschland eine Wertprüfung für Weizen, wo die Backqualität jeder neuen Sorte an Mustern von 24 Orten durch Backversuche erarbeitet wird? Wenn man als Händler nicht genauer hinschauen will, dann könnte man wenigstens drei Silos nutzen und diese nicht über den Proteingehalt sondern über Sortenkenntnis füllen: ein kleines Silo für Aufmischweizen (E- und guter A-Weizen), ein mittleres Silo für Backweizen (A/B-Weizen) und ein großes Silo für Futterweizen und erntegeschädigte Ware. Wenn wir also beim Handel von Weizen endlich wirkliche Qualitäten handeln, könnten wir problemlos beim Proteingehalt geringere Mengen zulassen und somit auch deutlich weniger Stickstoff düngen ohne dass die Endqualität für den Bäcker schlechter wird. Wobei wir gleich beim nächsten Punkt sind: ca. 30% unserer Weizenproduktion wird für Backzwecke benötigt, wir bauen aber >80% backfähigen Weizen an. Backqualität und Ertrag korrelieren aber negativ, deswegen haben C-Weizen ja auch einen etwas höheren Ertrag pro Fläche und eingesetzter Ressourcen als A- und E-Weizen. Auch benötigt ein Futterweizen eben keine 12% Proteingehalt, das kann man durch Mischung mit Leguminosen im Futterwert in Menge und Qualität viel nachhaltiger ergänzen. Somit könnten wir auf ca. 50% der heimischen Weizenfläche durch den Anbau von echtem Futterweizen ohne Proteinvorgabe mehr Ertrag unter weniger Einsatz von Düngung realisieren. Und dann gibt es beim Backen ja auch noch zahlreiche Möglichkeiten, mit geringeren Proteinmengen des Weizens sehr gut zurechtzukommen, ansonsten würde ja jedes Ökobrötchen aussehen wie ein Ziegelstein. Einfachste Rezepturanpassungen wie Nutzung von Vor- oder Sauerteigen oder lediglich die Anpassung der Knetenergie bewirken mehr, als jede Stickstoffdüngung! Insofern sollte auch das Backgewerbe hier in die Pflicht genommen werden: mit mehr Wissen deutlich höhere Toleranzen der Spezifikationen neuer Mehllieferungen ermöglichen, sei es durch einen eigenen Teig- oder Backversuch oder Einsatz von etwas Laboranalytik, die meistens die Müller sowieso schon machen. Auch nutzen einige Bäcker in ihren Rezepten zugesetztes Gluten, welches in der Stärkeproduktion als Zweitprodukt anfällt. Wenn man die Menge des Glutens aus der Stärkeproduktion betrachtet, dann könnte der Protein- bzw. Glutengehalt von mehreren 100.000 Tonnen Mehl pro Jahr alleine bei uns um mehrere Prozentpunkte gesteigert werden und somit wiederum im Feld einiges an Stickstoffdünger gespart werden. Zusammenfassend befinden wir uns in der Lebensmittelproduktion in einer Zwickmühle – wir müssen mehr produzieren und parallel unbedingt nachhaltiger werden. Naivität und Dogmatismus helfen hier aber wenig, aber auch keine Rückkehr in veraltete Muster und Strukturen. Im Gegenteil sollte endlich eine Professionalisierung der Wertschöpfungsketten erfolgen, die dem jetzigen Wissensstand auch angemessen ist. Der freie globale Markt sollte es eigentlich regeln, aber dieser ist teilweise durch Diktatoren, fehlende Logistik in manchen Gegenden der Welt, monopolartige Strukturen, Privatisierung von Gewinn aber Generalisierung der Umweltrisiken, usw. nicht überall gegeben. In der aktuell immer kritischeren Lage der Ernährungsversorgung und Umweltsituation müssen wir Partner der Wertschöpfungskette endlich alle zusammenhalten. Gemeinsam müssen wir eine wirklich faire, und deutlich nachhaltigere aber sichere Lebensmittelversorgung auf unserem Planeten hinbekommen und zwar schnell. Dabei müssen wir die globalen Stellschrauben Lebensmittelverschwendung, Reduktion des Verbrauchs veredelter Produkte, gerechtere Lebensmittelverteilung endlich bewegt bekommen dürfen aber die vielen kleinen Schritte, die häufig viel realistischer und schneller umzusetzen sind, nicht vergessen. Und Ökologisierung mit großer Vehemenz vorantreiben auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens, die nicht alle eine so fundamentale Bedeutung wie die Lebensmittelversorgung haben. Ich werde weiter meine Forschungsaktivitäten im Bereich alternative Arten sowie bessere Qualitätsbeurteilung in der Weizenwertschöpfungskette intensiveren, was macht ihr?

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